Drogen

Ich bin ja schon früh mit Drogen in Berührung gekommen. Zigaretten waren der Einstieg. Wie es so einige Sachen gibt an die sich jeder Mensch sehr genau erinnern kann (der erste Kuss, das erste Mal etc.) erinner ich mich auch noch sehr genau an meine erste Zigarette. Ich war zwölf Jahre alt.

Wir waren gerade frisch umgezogen. Es war Sommer, ich kannte niemanden in der neuen Klasse und auch sonst war mir die Gegend ziemlich fremd. Direkt vor dem Haus lag ein Naturschutzgebiet, eingegrenzt von den dicken grün angestrichenen Rohren der Fernwärmeversorgung. Ich wusste nicht wirklich etwas mit mir anzufangen, also wanderte ich an den Rohren entlang und suchte eine Stelle an der man unter ihnen durchkann ohne direkt durch das Gestrüpp krabbeln zu müssen. Auf einmal hörte ich über mir eine Stimme. "Du bist der Neue stimmts?". Ich schaute hoch und sah Marco auf den Rohren sitzen, ein Junge aus meiner neuen Klasse. Ich nickte und wollte schon weiterlaufen, als er meinte ob ich nicht raufkommen will und mit ihm zum "Gulli" laufen wolle. Ich zuckte mit den Schultern, nahm seine Hand und ließ mir von ihm auf die Rohre raufhelfen.

Oben angelangt wanderten wir eine Weile die Rohe entlang, bis ich von weitem eine Gruppe Jungen und Mädels auf ihnen sitzen sah. Sie waren zum Teil aus meiner Klasse und zum Teil aus unserer Parallelklasse. Die Stelle wo sie saßen war nicht weit von dem kleinen Fluss, der Wuhle, entfernt. Direkt am Ufer war ein Gulli mit Betonring drumherum. Er war stillgelegt und anstatt nur eine einfache Wartungsröhre zu sein, führte dieser Gulli in eine Art Gewölbe das früher scheinbar mal als Aufangbecken für Unrat diente, mittlerweile aber durch Regen, Wind und Wetter sauber gespült war. Unten war es immer kühl und trocken und man sah das in einer Ecke öfter ein Feuer gemacht wurde. Es rocht leicht staubig und muffig, aber es gab kein Anzeichen von dem Gestank den man normalerweise mit einem Gulli assoziiert.

Wir saßen und lagen also oben auf den Rohren, ließen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und redeten wenig. Ab und an wurde ein Scherz gemacht und ansonsten dem Wind und dem Fluss zugehört. Auf einmal fragte jemand ob denn noch wer eine Zigarette für ihn hätte. Franzi zog eine Schachtel aus ihrer Tasche, und fing an der Reihe nach anzubieten. Ich nahm mir auch eine aus der Schachtel, drehte sie aber unschlüssig in den Händen und wusste nicht wirklich was damit anzufangen. Klar, bei meinen Eltern hab ich schon mein ganzes Leben lang Zigaretten gesehen, und ziehen durfte ich auch schonmal (was ich damals aber nicht wirklich prickelnd fand). Aber da ich neu in der Runde war, und nicht direkt von Anfang an aus dem Rahmen fallen wollte, ließ ich mir also auch noch Feuer geben und rauchte diese Zigarette auf "Pustebacke". Bis dann irgendwer mal meinte ich soll doch mal einen Zug nehmen und "Hhhhhhh! Mama kommt!" sagen. Ein kurzes Husten und dann fing das Kreiseln an. Alle grinsten und die Mädels kicherten. "Deine erste Zigarette?" fragte Ulli. Ich nickte und nahm noch ein Zug. Das Kreiseln war nämlich angenehm. Es drehte sich alles im Kopf und die Welt wirkte auf einmal ein ganzes Stück intensiver. Diesen Nikotinflash hatte ich bei den nächsten zwei oder drei Zigaretten danach nochmal. Danach nur noch wenn ich lange Zeit keine mehr geraucht hab. Ich find ihn noch immer angenehm, auch wenn ich mittlerweile weiß wie schädlich rauchen ist.

Diese Gruppe Mädels und Jungs sollte also für so ca. die nächsten 8-10 Jahre den harten Kern "meiner" Clique bilden. Wir waren viel zusammen unterwegs, bauten zusammen Mist und badeten ihn auch zusammen wieder aus. Klar, man hat sich nicht immer verstanden, aber die meiste Zeit war diese Clique wie eine kleine Extrafamilie für mich. Mit diesen Menschen trank ich mein erstes Bier und diese Menschen waren auch dabei als ich das erste mal richtig besoffen war. Es blieb lange Zeit bei Zigaretten und Bier, bis eines Tages Freunde von Freunden auftauchten und die ersten Joints rumgehen ließen. Damals ließ ich die Finger davon, weil ich der Sache nicht traute. Bald waren einige aus der Clique regelmäßig bekifft, oder stiegen direkt auf Chemie um. Auf Partys erlebte man nun immer mal wieder Abstürze anderer, wenn sie grün anliefen und sich die Organe auskotzen. Oder solche die mit LSD und Co. nicht klarkamen und auf einmal in die Küche rannten um mit einer Gabel (fiktiven) Goulasch von den Wänden zu kratzen. Von Schlümpfen bis weißen Killertauben hatten wir fast jede Hallu auf diesen Partys, und es wurden immer wieder Witze drüber gerissen. Ich hielt mich die meiste Zeit an meinem Bier oder Whisky fest und ließ die anderen das Zeug schlucken. Was auch dafür sorgte das ich mehr oder weniger irgendwann zum "Aufpasser" auf diesen Partys avancierte.

Ich hab Leute von Balkonbrüstungen zurückgezogen auf die sie klettern wollten weil sie dachten sie könnten fliegen, ich hab Absturzopfern die Schüssel gehalten und ich hab den Notarzt gerufen wenn es so aussah als ob jemand gleich aufhört zu atmen. Trotz allem war es noch immer meine Clique, und so passierte es das ich mich eines Abends in einer Disco doch dazu überreden ließ einmal ein Paper (mit LSD beträufeltes Papier) zu probieren. Wie es sich anfühlt lässt sich nicht beschreiben, sondern nur erleben. Ich finde es weder angenehm noch berauschend wenn ich die Kontrolle über mich selbst verliere. Nun, dieses Zeug versuchte genau das zu bewirken, und es gewann langsam aber stehtig die Oberhand. Auf einmal wurde es mir in dieser Kellerdisco viel zu stickig und ich wollte eigentlich nur noch nach Hause.

Also stiefelte ich los in Richtung Heimat. Nunja, bis auf einmal der Zaun neben mir anfing sich zu biegen und mich einschloss. Im Nachhinein weiß ich das das eine Hallu war, aber damals, zu diesem Zeitpunkt, jagte es mir einen derartigen Schrecken ein, dass ich einfach stehen blieb und mich nicht mehr weiter traute. Wie lange ich dort stand weiß ich nicht. Es muss aber eine ganze Weile gewesen sein nach dem Muskelkater zu schließen den ich am nächsten Morgen hatte. Irgendwann war der Zaun auf einmal nur noch ein Zaun, und ich wankte nach Hause und beschloss noch vor dem Einschlafen "Nie wieder Chemie".

Nachdem die Clique so langsam auseinanderbrach, weil jeder irgendwie auf einmal andere Interessen hatte, begann auch der Einstieg ins Berufsleben. Ich selbst hatte zwar eine Lehrstelle bekommen, wurde dort aber kurz vor dem Ende der Probezeit wieder entlassen. Also ließ ich mich vom Arbeitsamt einer ABM-Maßnahme zuweisen und war nun also im Garten- und Landschaftsbau beschäftigt. Dort lernte ich auch Nadja kennen, die in meinem Alter war, und sich regelmäßig in irgendeiner Ecke einen Joint ansteckte. Wir kamen gut miteinander klar, und ab und an überredete sie mich doch einfach mitzurauchen. Da sie ziemlich sanftes Gras rauchte, hatte der Joint ne aufheiternde Wirkung, und nicht selten musste uns der Vorarbeiter aus irgendeiner Ecke scheuchen in der wir rumsaßen und vor uns hin kicherten. Das der Vorarbeiter sobald wir um die Ecke waren die letzten Reste vom Joint selber "vernichtete" bekamen wir erst später raus. Auch wenn wir uns regelmäßig wunderten warum er uns nicht meldete.

Ich habe nie regelmäßig Joints geraucht oder getrunken. Chemie nur einmal probiert um es für immer zu lassen und das einzige wirkliche "Drogenproblem" das ich derzeit habe sind die Zigaretten. Ich find es ok wenn Jugendliche, wie wir es damals waren (und ich hätte nie gedacht das ich das mal schreibe..."DAMALS"...Ich werd alt...), sich ausprobieren und auch mal alles testen was sie so in die Finger bekommen. Nur sollte es nicht überhand nehmen.

Viele die ich von damals kenne haben irgendwann den Absprung geschafft, einen normalen Beruf ergriffen und eine Familie gegründet. Sie haben Arbeit und sie wissen wo sie im Leben stehen. Klar, ich kenn auch ein oder zwei Fälle die es nicht geschafft haben. Die immer noch in irgendwelchen Butzen hausen, sich täglich zudröhnen oder es sogar garnit geschafft haben und von denen jetzt nur noch eine Erinnerung in Granit existiert. Aber das sind sehr wenige von sehr vielen. Mir hat dieses "ausprobieren" nicht geschadet. Es hat mir gezeigt was interessant und was uninteressant für mich ist. Und hätt ich die Chance diese Zeit nochmal zu leben, ich würde sehr wenig anders machen.
Mauzi - 24. Okt, 19:12

wow, was für ein toller Bericht!

Legatus - 25. Okt, 07:08

Danke :)
nimitz - 25. Okt, 12:16

gut, wenn du für dich deinen "drogenkonsum", sprich zigaretten, gefunden hast und die anderen drogen beiseite lässt.
leider sind nicht alle so charakterstark und lassen sich immer wieder verführen und das "ausprobieren" wird dann zum alltäglichen.
ich hoffe, du kannst deinen status quo halten.

Legatus - 25. Okt, 16:21

Mhhh, Zigaretten sind eine Droge die ein ganzes Leben bestimmen kann...von daher auch nicht wirklich erstrebenswert...aber besser als härteres Zeug...
nimitz - 25. Okt, 18:06

das ist wohl wahr. aufhören mit dem rauchen ist sicher für einige auch nicht so einfach. ich habe einfach aufgehört. und es hat geklappt. aber das ist sicher nicht der ratschlag für jeden. übrigens - man(n) muss es ganz fest wollen, dann geht es auch ... ;-)
NBerlin - 25. Okt, 12:41

Sehr schön geschrieben, habe es gern gelesen, trotz der Länge..;-)

Legatus - 25. Okt, 16:21

Danke :)
Aurisa - 29. Okt, 10:02

Hallo Legatus,
ich bin zum Glück nie mit Drogen in berührung gekommen. Ich war nie in irgendeiner Clicke und zuhause bei uns wurde nicht geraucht und nur sehr wenig Alkohol genommen, daher bin ich auch nie von irgendjemand 'angefixt' worden... und ganz ehrlich: ich vermisse diese Erfahrung auch nicht!
Ich möchte nicht von irgendwas abhängig sein, ich möchte klar im Kopf sein und mein Leben ist auch so schon aufregend genug... da brauche ich keinen Drogenkick ;)...
Und mir graust es vor der Vorstellung mit irgendsowas anzufangen... und dann womöglich nicht mehr davon los zu kommen...
Nein ich bin wirklich froh, diese Erfahrung nicht gemacht zu haben... so wichtig Erfahrungen auch sind... aber Frau muss ja auch nicht alles (ausprobiert) haben ;)...
Viele Grüße
Aurisa

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Burningheart (Gast) - 24. Okt, 21:02
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Legatus - 2. Jul, 11:16

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